Boxen lernen mit Weltmeisterin Tina Rupprecht

Freitag, 24. November 2017, 11:10 Uhr Thorsten Franzisi

In Augsburg bringt Tina Rupprecht jungen Migrantinnen die Kunst der „Schlagkraft“ bei



Wer kennt es noch, das berühmte „Boxerlied“? Die Älteren unter uns können die Melodie sogar summen:
Das Herz eines Boxers kennt nur eine Liebe:
Den Kampf um den Sieg ganz allein.
Das Herz eines Boxers kennt nur eine Sorge:
Im Ring stets der erste zu sein.
Und schlägt einmal sein Herz für eine Frau,
stürmisch und laut:
Das Herz eines Boxers muss alles vergessen,
sonst schlägt ihn der Nächste knock out!

Dieser unvergleichliche Hit war einst der Titelschlager zum frühen deutschen Ton-Sportfilm „Liebe im Ring“, der 1930 mit dem gleichfalls unvergesslichen Schwergewichts-Champion Max Schmeling gedreht wurde. Es war sozusagen der erste legendäre „Sport-Rap“, der über den Äther kam und dem Boxsport huldigte. Heute kennen viele junge Boxer diese einst bis nach Amerika bekannten Töne kaum noch, Max Schmeling aber ist den meisten noch ein Begriff.

In Augsburg ist die „Haan Promotion“ die Nummer eins in der Stadt. Neben den beiden Brüdern Alexander und Sergej Haan ist Tina Rupprecht das absolute Aushängeschild des über 430 Mitglieder zählenden BLSV-Mitgliedsvereins, davon rund 290 Kinder und Jugendliche aus vielen Ländern – der kleinste Faustkämpfer ist gerade einmal drei Jahre alt. Die 25jährige Lehramtsanwärterin ist die derzeit amtierende Silber-Weltmeisterin des Weltverbandes WBC (World Boxing Council) und Intercontinental-Champion des Verbandes IBO (International Boxing Organisation) und schickt sich am 2. Dezember an, um die Interims-Weltmeisterschaft der WBC im Minimumgewicht (bis 47,6 Kilogramm) gegen die Französin Anne Sophie da Costa in der Arena des TSV Kühbach (bei Aichach) zu kämpfen. Die Linksauslegerin begann ihre Karriere mit 13 Jahren und wurde 2009 und 2010 Deutsche Meisterin im Halbfliegengewicht der Jugend, 2011 und 2012 erkämpfte sie sich den Deutschen Meistertitel, ebenfalls im Halbfliegengewicht, bei den Frauen.

Acht junge Frauen machten den Anfang
Für den Projektkoordinator „Sport und Integration“ im Freiwilligen-Zentrum Augsburg war die im Grunde sehr zierliche Person mit einer Körpergröße von 1,53 Metern deshalb genau die „treffende“ Ansprechpartnerin für ein im Herbst dieses Jahres gestartetes Projekt: „Boxen für Mädchen und junge Frauen mit Migrationshintergrund“ lautete die anspruchsvolle Herausforderung. Als Ideengrundlage diente eine Reportage im „Weltspiegel“ über indische Frauen, die, um sich der vielen Übergriffe durch männliche Gewalt zu erwehren, eigene Boxstudios gründen. Im September startete die erste Runde mit acht jungen Frauen aus Syrien, dem Irak, Pakistan, Afghanistan und Rumänien. Die schweißtreibende Schnupperstunde bereitete allen enormen Spaß – und zwei Mädchen waren dabei, die Tina Rupprecht am liebsten gleich im Boxclub behalten hätte: „Die haben ein großes Talentpotential“, meinte sie staunend.

Nach bisher zwei Nachmittagen soll es nun nach dem 2. Dezember weitergehen. Inzwischen hat sich sogar das amerikanische Generalkonsulat in München gemeldet – dort besteht großes Interesse, den Fortgang der Kurse materiell zu unterstützen. Fördern wird auch der Integrations-Beauftragte in Augsburg und Schwaben, Plamen Nikolov, im Rahmen des Programms „Integration durch Sport“ im Bayerischen Landes-Sportverband. Hierzu fand kürzlich ein erstes Gespräch statt. Für die „Haan Promotion“ wäre dies ein weiterer großer Schritt auf einem sehr erfolgreichen Weg. Die „Haan-Brothers“ waren 1993 aus Kasachstan nach Deutschland gekommen und hatten den „1. Boxclub Haan Augsburg e.V.“ 2005 gegründet. Ihr vorrangigstes Ziel war und ist es, Jugendliche von der Straße zu holen und ihnen das olympische Boxen als Sport und Leitfaden fürs Leben näher zu bringen. Viele nationale und internationale Titel zieren die Pokalvitrinen des Vereins im Stadtteil Lechhausen, der auf rund 1.000 Quadratmetern alles in seinem Equipment anbieten kann, was zu einem richtigen Kraft- und Boxtraining gehört – von den Gewichten und vielen Sandsäcken bis hin zu einem richtigen Ring.

In Kürze will man sich im gleichen Haus in einem Gewerbegebiet im Stadtteil Lechhausen noch um weitere 500 Quadratmeter erweitern. „Wer boxen lernt“, sagt der ehemalige Amateur-Boxer im deutschen Nationalkader, Alexander Haan, „geht mit einer ganz anderen Selbstsicherheit in die Öffentlichkeit“. Dabei legen er und sein Bruder Sergej (mehrfacher deutscher Amateur-Meister und Vize-Militär-Weltmeister im Männer-Leichtgewicht) großen Wert darauf, dass durch das Boxen alle Aspekte einer ganzheitlichen Körperausbildung gefördert werden: „Das Boxtraining schult vor allem die Leistungsfähigkeit, die Koordinations- und Konzentrationsfähigkeit und bringt den Kindern und Jugendlichen diszipliniertes Verhalten sowie die strikte Einhaltung von Regeln bei.“

Verein mit eigenem Song „You’ll never fight alone“
Die „strikten Regeln“ freilich haben dazu geführt, dass die „Haan Promotion“ nicht mehr im Bayerischen Amateur-Box-Verband und auf Bundesebene geführt werden – denn wer Profis trainiert, verliert quasi seine Unschuld. Das ist, bei genauerer Betrachtung, sehr reformwürdig. Ziel ist es ja doch auch, dass aus guten Amateuren ebenso gute Profis werden können – weshalb sollte das nicht unter einem Dach möglich sein? Tina Rupprecht wechselte nach Querelen mit dem Deutschen Boxsport-Verband nach 30 Siegen, 5 Niederlagen und einem Unentschieden ins Profilager. Im Fußball lässt sich das mit Jugend-Leistungszentren, zweiten Mannschaften und den Profiabteilungen der Vereine regeln, wirtschaftlich sauber getrennt, aber es funktioniert. Denn das Herz eines Boxers kennt, egal ob Anfänger oder Weltchampion, wirklich nur eine Liebe. Und weil mit Musik vieles – auch das Training – besser geht, wurde eigens für den Boxclub Haan von der Band No Compromize der Song „You’ll never fight alone“ komponiert. Max Schmeling hätte dazu bestimmt mit viel rhythmischer Freude seine Links-rechts-Kombinationen geschlagen.

W.T./ Foto Siegfried Kerpf


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